In dem Auszug aus Akt 1,4 aus Friedrich Schillers „Kabale
und Liebe“ aus der Epoche des Sturms und Drang gesteht Lady Milford
Ferdinand ihre Liebe und erhofft sich Gegenliebe, jedoch muss er ihr
seine Liebe zu Luise gestehen und erhofft sich von ihr Verständnis,
das sie ihm nicht geben kann, da sonst ihre Ehre weiteren Schaden
erhalten würde.
Ferdinands Liebe zu Luise
wird durch Lady Milfords Auftreten ein neues Hindernis in den Weg
gesetzt, da Lady Milford sich erstens als für Ferdinand nicht
verachtenswert erweist und sie sich zweitens gezwungen sieht, seiner
Zuneigung zu Luise kein Verständnis zu geben, da sie, um ihre Ehre
vor weiterem Schaden zu bewahren und da sie ihn tatsächlich auch
liebt, ihn heiraten muss und will.
Die Szene trägt insofern
zur steigenden Handlung bei, weil hier ein neuer Konflikt entsteht;
seine Absicht, den gegenseitigen Hass zwischen sich und Lady Milford
zu schüren, lässt Ferdinand in Angesicht der unerwarteten
Freundlichkeit und Güte Lady Milfords fallen. Dennoch bleibt
Ferdinands Ziel, seine Heirat mit der Lady zu verhindern, unerfüllt,
da sie ihn nichtsdestotrotz heiraten möchte.
Vor dem Aufeinandertreffen
Lady Milfords und Ferdinands haben der Präsident und Wurm intrigant
das Gerücht der kommenden Heirat zwischen den beiden Dialogpartnern
in Umlauf gesetzt. Aufgrund dessen sieht sich Ferdinand gezwungen,
persönlich bei der Lady vorzusprechen.
Der vorliegende Auszug aus
dem Drama kann in drei Teile unterteilt werden. Im ersten Teil
gesteht Lady Milford Ferdinand ihre Liebe, im darauffolgenden Teil
hindert Ferdinand die Lady am Weitersprechen und gesteht ihr im
Gegenzug seine Liebe zu Luise; er betont dabei, dass er sich über
Standesschranken und den Willen seines Vaters hinwegsetzen wird. Im
letzten Teil bekundet Lady Milford, dass sie Ferdinand nicht
freigeben kann, da dies ihrer Ehre weiteren Schaden zufügen würde,
und auf eine Heirat besteht, worüber ihr Gesprächspartner sehr
schockiert ist.
Im unmittelbar folgenden
Verlauf des Dramas spitzt sich der Konflikt im Hause Millers zu; es
kommt zum Streit zwischen Ferdinand und seinem Vater, an dessen Ende
der Sohn des Präsidenten seinen Vater erpressen möchte; Lady
Milford, die in der vorliegenden Szene von Luise erfahren hat, möchte
diese aus Eigennutz bei sich einstellen und lädt diese zu sich ein,
um die Heirat mit Ferdinand ermöglichen zu können.
Die Szene ist ein Dialog
zwischen Ferdinand und Lady Milford; beide Dialogpartner weisen dabei
ähnliche Gesprächsanteile auf, was aus dem gegenseitigen Respekt
resultiert und den gegenseitigen Versuchen, ihren Standpunkt dem
jeweils anderen zu erklären. Der Auszug beginnt mit dem
Liebesgeständnis von Lady Milford, dass durch einen hypotaktischen
Satzbau und eine ungewöhnlich große Anzahl an Parenthesen geprägt
ist, was auf ihre Aufgeregtheit hinweist und auf ihren Wunsch,
Ferdinand endlich ihr Liebesgeständnis zu unterbreiten. Zugleich
drückt Lady Milford durch eine Repetitio („wenn eine Unglückliche-
wenn diese Unglückliche“) ihr eigenes Leiden und die Schwere des
an ihr verübten Unrechtes aus. Mit einer weiteren Repetitio („durch
dich gerettet- durch dich dem Himmel ...“) drückt Lady Milford
ihre Hoffnung aus, das Ferdinand sie aus ihrer unglücklichen Lage
befreie. In ihrem Liebesgeständnis finden ebenfalls einige Metaphern
und Adjektive Verwendung, die die Absicht haben, Lady Milfords
unermessliche Liebe auszudrücken (Metaphern: „Das Gewicht dieser
Tränen.. sich an dich presst mit einem Busen voll glühender
unerschöpflicher Liebe... in deine Arme wirft.... durch dich dem
Himmel wiedergeschenkt sein soll... in noch abscheulichere Tiefen des
Lasters“; Adjektive: fürchterlicher Ruf der Verzweiflung,
unwiderstehlich allmächtig an dich gezogen, glühende
unerschöpfliche Liebe). Mit einer Metapher bekundet Lady Milford den
Wunsch, ihr altes Leben hinter sich lassen zu wollen
(„niedergedrückt... überdrüssig“), mit einer weiteren wieder
die Hoffnung auf Ferdinands Kommen als Retter („in noch
abscheulichere Tiefen … hinuntertaumelt“), ansonsten wäre ihr
Absinken in tieferes Unglück beschieden. Die Regieanweisungen
zeichnen sich durch ein bewegendes Wechselspiel ab, dass Lady
Milfords innere Zerrissenheit betont (hält seine Hand fest- im
zärtlichsten Ton- sie umfasst ihn, beschwörend und feierlich- das
Gesicht von ihm abgewandt, mit hohler bebender Stimme). Nach diesem
Liebesgeständnis fühlt sich Ferdinand nun seinerseits gezwungen,
ihr den wahren Grund seiner ablehnenden Haltung gegen eine Heirat
vorzutragen, der in seiner Liebe zu Luise besteht. Hierbei sei auf
die Regieanweisungen hingewiesen, in denen Ferdinand als in der
„schrecklichsten Bedrängnis“ beschrieben wird. Diese Bedrängnis
wird durch eine Exclamatio bekräftigt („Nein, beim großen Gott“)
sowie kurz darauf durch die Metapher „Himmel und Erde liegen auf
mir“ verdeutlicht. Allerdings möchte die Lady sein Geständnis
nicht hören, und betont dies durch die Repetitio „jetz nicht,
jetzt nicht“, durch das Adjektiv „entsetzlich“ sowie durch die
Metapher „tausend Dolchstiche“, die wiederum die Angst
ausdrücken, von Ferdinand abgewiesen zu werden. Nichtsdestotrotz
findet Ferdinand die Möglichkeit, Lady im weiteren Verlauf das
Gespräches sein Liebesgeständnis vorzutragen. Hierbei erklärt er
zuerst seine zum Anfang des Gesprächs noch gehabte Absicht, den Hass
zwischen ihnen beiden zu schüren. Dies stellt die Ehrlichkeit, die
zwischen den beiden Dialogpartnern besteht, heraus. Mit einer
Corectio „Ich erwartete- ich wünschte“ drückt Ferdinand die
anfangs gehabte Hoffnung aus, das Lady Milford sich wirklich als die
zu erwartende unangehme und verachtenswerte Person herausstellen
würde. Trotzdem kommt er nicht umhin, mit einer verwendeten
Repetitio „Ich liebe- ich liebe“ seine Liebe zu Luise
auszudrücken, zugleich auch die Pflicht, zu Luise stehen zu müssen,
der er Hoffnungen gemacht hat. Diese gemachte Hoffnung wird mit
weiterem Nachdruck durch die Metapher (wiegte ihr Herz mit
vermessenen Hoffnungen....preis) betont. Im weiteren Verlauf des
Geständnisses findet eine Antithese Verwendung (Mode oder die
Menschheit), mit der ausgesagt wird, dass Ferdinand sich auch über
Standesschranken hinweg und gegen den Wunsch seines Vaters mit Luise
zu vermählen gedenkt. Als Lady Milford wieder zu Wort kommt, drückt
sie unter Verwendung einer Paralipse (Nichts, als dass sie sich...
zugrund richten) aus, wie sehr es sie trifft, das eine weitere,
dritte Person betroffen ist, was wieder die in ihr wohnenden
Charaktereigenschaften von Güte und ihr Mitgefühl deutlich
herausstellt. Diese Betroffenheit wird durch die Regieanweisung mit
weiterem Nachdruck betont (im Ausdruck heftigsten Leidens). Mit der
Frage „Noch eine Dritte?“ wird Ferdinands eigenes Unverständnis
über die Situation verdeutlicht, das im folgenden Verlauf des Dramas
zur weiteren Entwicklung der Kabale führen wird. Mit der folgenden
Anapher drückt Lady Milford die für sie besonders schwerwiegende
eigene ernüchternde Erkenntnis aus, das Ferdinand eine andere liebt
und ihre Liebe niemals mit Gegenliebe erwidern wird. Mit der
folgenden großen Anzahl an rhetorischen Fragen wird Ferdinands
Betroffenheit herausgestellt, nachdem Lady Milford seine Bitte, einer
Heirat nicht offen gegenüberzustehen, abgelehnt hat (Gezwungen,
Lady? - Sie können das?) und zugleich versucht er sie noch einmal in
einem letzten verzweifelten Anlauf dazu zu bewegen, der Liebe
zwischen ihm und Luise kein Hindernis in den Weg zu setzen. Mit der
folgenden Regieanweisung (Mit Ernst und Stärke) wird Lady Milfords
nichtsdestotrotz fest bleibende Heiratsabsicht betont. Mit einer
Personifikation drückt Lady Milford aus, das sie einen weiteren
Schaden an ihrer Ehre nicht zulassen möchte (Meine Ehre kanns
nicht), mit einer Metapher kombiniert mit einer Correctio, betont die
Lady wiederum die Größe besagten Schadens, der sie treffen würde,
wenn sie Ferdinands Bitte nachgeben würde. Mit der finalen Metapher
„Ich lass alle Minen sprengen“ möchte Lady Milford ihrer Absicht
wieder Ausdruck verleihen, bezüglich Ferdinands Gesuch absolut
unnachgiebig zu bleiben.
Durch das
Aufeinandertreffen zwischen Ferdinand und Lady Milford und des für
ersteren unerwarteten Ausgang des Gespräches wird der Liebe zwischen
Luise und Ferdinand ein weiterer Hindernis in den Weg gesetzt, der
dem Drama eine weitere ambivalente Facette und Verschärfung der
steigenden Handlung verleiht.
Waren die Gründe des
Präsidenten für seine gesponnenen Intrigen absolut negativ und nur
auf dem eigenen Wunsch, die Standesschranken auf keinen Fall
unbeachtet zu lassen, begründet, scheint Lady Milford gute Gründe
dafür vorzuweisen, Ferdinand heiraten zu wollen. Der Charakter der
Lady ist für den weiteren dramatischen Spannungsverlauf von „Kabale
und Liebe“ unentbehrlich. Letztendlich trägt die Szene also zur
weiteren Verschärfung des Konflikts bei, der die Intrigen des
Präsidenten und Wurms begünstigt; zugleich führt Lady Milfords
Ablehnung dazu, dass für Ferdinand die Situation nicht gelöst wird.